Görlitzer Zentralhospital wird 160 Jahre alt

Am 23. August 2023 feiert das Altenpflegeheim „Zentalhospital“ in Görlitz sein 160-jähriges Bestehen. Dabei wird es am Mittwoch mit den Bewohnern und Mitarbeitern ein paar kleine Höhepunkte im Laufe des Tages geben.

Nachfolgend können Sie durch die langjährige Geschichte dieses besonderen großen Gebäudes lesen:

Die Stadt Görlitz besaß vier Hospitäler und galt hier im Verhältnis zu anderen Städten als vorbildlich in der sozialen Alten- und Armenumsorge. Die wirt­schaftlichen Grundlagen zur Unterhal­tung solcher Einrichtungen bildeten zum einen städtische Besitzungen an Grund und zum anderen finanzielle Zuwendun­gen vermögender Bürger. Ein solcher Grundbesitz umfasste ganze Dörfer oder Dorfanteile, aber auch Ackerflächen, große Forstbestände und Fischteiche, die Pachtzinsen und Naturalien einbrachten. Die Aufsicht lag beim Magistrat.  

Das älteste Görlitzer Alten- und Armen­pflegehaus, das „Hospital zum Heiligen Geist“ oder auch „Neißehospital“ genannt, geht auf den Anfang des 13. Jahrhunderts zurück. Es befand sich am östlichen Neißeufer, gegenüber der Drei­radenmühle. Das Gebäude wurde zuletzt im Jahre 1769 neu erbaut und beim Nei­ßebrückenbau 1905 teilweise abtragen. Noch bis 1931 waren in einem ehema­ligen Gebäude des Hospitals eine Schu­le und ein Kinderhort untergebracht. Im 19. Jahrhundert veränderte sich auch in der Stadt Görlitz das wirtschaftliche und soziale Gefüge durch sprunghaftes Wachstum von Wirtschaft und Industrie, Handel und Gewerbe. Mit der Industria­lisierung erfuhr ebenso das soziale und kulturelle Leben einen erheblichen Auf­schwung. Es bildeten sich mancherlei Wissenschafts-, Bildungs- und Gesellig­keitsvereine. Im Zuge eines derartigen Wandels verloren freilich auch die altehr­würdigen Hospitäler an Ansehen und Be­deutung. Die Gemäuer waren baufällig, die Einrichtung veraltet. Die Hospitäler passten nicht mehr in das Bild einer auf­strebenden Industriestadt. Der Magistrat hegte daher den Gedanken eines großen Hospitalneubaus. Insbesondere war es Oberbürgermeister Hugo Sattig, der sich mit Nachdruck für die Verwirklichung ei­nes solchen Projektes einsetzte. Im Jah­re 1858 erwarb der Magistrat zu diesem Zweck die an der Krölstraße gelegenen Kießlich´schen und Blank´schen Garten­grundstücke mit einer Größe von 3 Mor­gen und 176 Quadratmetern für insge­samt 5188 Taler und 3 Groschen. Am 10. April 1860 wurde das Projekt zur Erbau­ung eines Central-Hospitals für die Stadt Görlitz von Stadtbaurat Martius dem Ma­gistrat vorgelegt und von diesem dem Oberpräsidenten der Provinz Schlesien zur Einwilligung zugestellt. Nach längeren Verhandlungen erteilte dieser am 23. September 1861 die Genehmigung. Die veranschlagten Kosten beliefen sich auf 54000 Reichstaler, die realen Kosten be­trugen am Ende 60000 Taler.

Am 18. August 1863 begann der Einzug der ersten Bewohnerinnen und Bewoh­ner in das neu errichtete Central-Hospital. Dabei erfolgte zunächst die Umbelegung aus den alten Hospitälern. So zogen um aus dem Neißehospital 10 Männer und 27 Frauen, aus dem Frauenhospital 13 Männer und 22 Frauen und aus dem Ja­kobshospital 1 Mann und 19 Frauen. Un­ter den neu aufgenommenen Hospital­bewohnern befanden sich 3 Pensionäre, die durch Zahlung eines entsprechenden Einkaufsgeldes in von ihnen selbst mö­blierten Zimmern untergebracht werden konnten. Am 23. August 1863 fand in Gegenwart des Magistrats und der Stadt­verordneten die feierliche Einweihung des Hospitals statt. Mit dem Jahresende lebten 102 Bewohner im Hause, die von 6 Angestellten sowie einigen ehrenamt­lichen Personen unter der Leitung des Hospitalverwalters Günther versorgt wurden. Bereits am 20. September 1862 erwarb der Magistrat für den Unterhalt des Hospitals die Güter Rietschen und Werda im Kreis Rothenburg zu einem Preis von 275000 Talern. Das Zentralhospital wurde eingebunden in eine städti­sche Stiftung. So tritt auch mit Wirkung vom 7. September 1866 das Statut des städtischen Zentralhospitals in Kraft. Da­rin wird die städtische Aufsicht über das Hospital einen Kuratorium übertragen. Entsprechend besteht der Zweck des Hospitals in der unentgeltlichen Versor­gung armer, erwerbsunfähiger, betagter oder gebrechlicher Görlitzer Bürger. Die Versorgung bestand in Wohnung, Bekös­tigung, Geldunterstützung, Beihilfe zur Bekleidung, Heizung, Beleuchtung und Krankenpflege.

Aufgenommen werden durften nur Bür­ger, die das 60. Lebensjahr vollendet hatten, Bürger, die siech geworden und besonderer Hilfe bedürftig waren, sowie Bürger mit entsprechender Würdigkeit und Verdienstlichkeit um die Kommune. Aber auch Bürger, die unverschuldet in Armut geraten waren oder weder von Ehegatten, Kindern noch Geschwistern versorgt werden konnten. Zur ärztlichen Betreuung der Bewohnerinnen und Be­wohner wurde 1867 Doktor Schindler zum Hospitalarzt berufen. Im Jahre 1872 nahm das inzwischen errichtete Sie­chenhaus hinter dem Zentralhospital die Arbeit auf. Es wurden 50 Personen un­tergebracht. Die Kapazität erwies sich je­doch von Anfang an als zu gering. Bereits von Anbeginn hatte das Siechenhaus mit einer übermäßigen Belegung von geistig behinderten Menschen zu kämpfen, da keine städtischen Unterbringungen zur Verfügung standen. Für die ärztliche Be­treuung sorgten Dr. Joachim sowie der 1872 zum Hospitalarzt berufene Sani­tätsrat Dr. Kleefeld. Für die treuen Diens­te erhielt der Hospitalverwalter am 12. Dezember 1874 vom Magistrat der Stadt den Amtstitel „Hospital-Inspektor“, der je nach Verdienst um die Einrichtung nach­folgend mehreren Verwaltern verliehen wurde.

Am 1. Mai 1874 trat die Verwaltungsord­nung für das Siechenhaus in Kraft. In Punkt 1 hieß es: „Das Siechenhaus ist eine Zweig- Institution des hiesigen Central- Hospitals. Als Organ des Magistrats für die unmittelbare Verwaltung fungiert daher das Hospital-Cura­torium, dessen Mitglieder sonach die  nächsten Vorgesetzten des Hausverwalters sind“. Das Zent­ralhospital mit dem zugehörigen Siechenhaus war für die damalige Zeit eine beispielgebende soziale Einrichtung. Viele deutsche Städ­te sandten kommunale Abordnun­gen nach Görlitz, um Kenntnisse und Erfahrungen für eine zeitge­mäße Alten- und Armenumsorge zu sammeln. So z.B. die Städte Beuthen, Frankfurt/Oder, Küstrin u.a.. Nach Eröffnung des neuen stadtischen Wasserwerkes 1878 erhielten auch das Zentralhospital sowie das Siechenhaus in sämt­lichen Stockwerken eine Wasser­leitung. In diesem Zusammen­hang wurden weitere Badestuben und Duschen eingerichtet, die Wäscherei erweitert sowie ein Dampf­waschapparat zur leichteren Reinigung der Wäsche geschaffen. Für die große Gewerbe- und Industrieausstellung vom 14. Mai bis 27. September 1885 stellte das Kuratorium den Garten des Hospitals für eine Einnahme von 175 Mark und der Garantie der Wiederherstellung des alten Zustandes zur Verfügung.

Am 23. August 1888 konnte das 25-jähri­ge Gründungsjubiläum des Zentralhospi­tals feierlich begangen werden. Es wurde eine Andacht gehalten, und es sprach ein Magistratsrat. Das Kuratorium bestimm­te, dass anlässlich des Jubiläums eine besondere Mahlzeit und ein Fass Bier zu bewilligen sind. Die Mahlzeit bestand aus Schweinebraten, Klößen und Kompott. Am Nachmittag gab es Kaffee und Ku­chen. Anlässlich des Jubiläums wurde dem Hospitalverwalter Ritzkowsky auf Veranlassung des Magistrats der Amts­titel „Hospital-Inspektor“ verliehen. Der Geheime Medizinalrat Dr. Schmidt nahm am 24. November 1901 eine Visitation des Zentralhospitals vor, die im Ergeb­nis als „ausgezeichnet“ befunden wurde. Ebenso konnte die im Jahre 1903 von Medizinalrat Dr. Erdner im Auftrag der Königlichen Regierung vorgenommene Revision des Hospitals und des Siechen­hauses mit der Note „sehr gut“ bewer­tet wurde. Das Hospitalgut Rietschen erbrachte im Jahre 1902 einen Reiner­trag von 54.748,32 Mark und 1908 einen Reinertrag von 80.758,79 Mark. Das Ka­pital des Zentralhospitals in den Gütern Rietschen, Werda, Daubitz und Walddorf betrug 1902 insgesamt 1.621.307,69 Mark. Aus Gründen der Überbelegung des Siechenhauses wurden in der Zeit vom 1. April 1900 bis 31. März 1901 auf Kosten der städtischen Armenkasse 25 Personen mit geistiger Behinderung in die Dr. Kahlbaum´sche Nervenheilanstalt verlegt, mit einem erforderlichen Kos­tenaufwand von 8.643 Mark. Der Ver­pflegungssatz im Siechenhaus betrug 2 Mark, für Armenverbände 1 Mark, bei Dr. Kahlbaum hingegen 6 Mark. Ab 1. April 1909 konnten im Siechenhaus erstmals zwei ausgebildete Krankenschwestern angestellt werden, davon eine als Stati­onsschwester. Im Jahre 1909 wurde das Lorenz´sche Gut (Rabenbergvorwerk) für 272.848,20 Mark für das Hospital erworben. Im April 1911 kaufte der Ma­gistrat das frühere Rottmann´sche Gut für 229.503,62 Mark. Es umfasste 124ha im Stadtgebiet und 32 ha in Nieder-Le­opoldshain. Das Gut wurde für 30 Mark pro Morgen verpachtet. Pächter beider Güter war der Rittergutspächter Otto Ey­dam in Niecha bei Deutsch-Ossig.

In den Jahren des 1. Weltkrieges musste ein Teil des Zentralhospitals als Lazarett genutzt werden, da andere Räumlich­keiten für diesen Zweck nicht zu finden waren; insgesamt 60 Verwundete. Die Hospitalverwaltung übernahm die Ver­pflegung der Verletzten. 60 Hospitalbe­wohner, die vorübergehend ausziehen mussten, kamen bei ihren Verwandten unter. Am 1. August 1919 konnte das Hospital endlich wieder ausschließlich für die Alten- und Armenumsorge genutzt werden. Das Vermögen des Zentralhos­pitals bestand vor dem 1. Weltkrieg aus einem Kapital von 800.000 Mark und schmolz durch die Geldentwertung auf 230.000 Mark zusammen. Der bedeu­tende Grundbesitz des Hospitals ermög­lichte es, den Betrieb ohne Zuschuss aufrecht zu erhalten.

Im Jahre 1992 ging das Staatliche Feierabend- und Pflege­heim in die Trägerschaft der inzwischen wieder gegründeten Arbeiterwohlfahrt, Spitzenverband der Freien Wohlfahrts­pflege, über und erhielt den alten Namen „Zentralhospital“ zurück. Gemeinsam mit einem Wiesbadener Architekturbüro (Architekt Bernd Rössel) entwickelte die AWO ein Sanierungskonzept, welches durch das Kuratorium Deutsche Alters­hilfe Köln evaluiert wurde. Mit Förderung des Freistaates Sachsen, der Kreisfreien Stadt Görlitz sowie mittels Eigenkapital konnte das Haus bis 1998 einer General­sanierung unterzogen werden. Das Zen­tralhospital ist eingetragen in die Denk­malliste der Stadt Görlitz. Heute ist das Zentralhospital eine Stätte zeitgemäßer Altenumsorge mit insgesamt 80 Plätzen, insbesondere zur Pflege und sozialen Be­treuung für alte Menschen mit dementi­ellen Erkrankungen. Es liegt am Rande der Görlitzer Innenstadt, inmitten einer großen Parkanlage. Städtisches Leben und grüne Ruhezone stellen ein ausge­wogenes Miteinander her und bewah­ren pflegebedürftige alte Menschen vor ihrer Ausquartierung an die städtische Peripherie. Dank engagierter Sponso­ren konnte im Jahr 2005 die Giebeluhr über dem Hauptportal an der Krölstraße, auch zur Freude der Anlieger im Wohn­quartier, restauriert werden. Zeiger und Glockenwerk gehen auf die Erbauungs­zeit zurück. Seit 150 Jahren ist das Zen­tralhospital der Altenumsorge, als seiner eigentlichen Bestimmung, erhalten ge­blieben. Dankbar blicken wir auf eine be­wegte Geschichte.

Jörg Ignatius, Görlitz